
Alles ist Material
Also habe ich mich gefragt, aus welchem Material ich wohl gemacht bin. Ich bestehe, wie die meisten Menschen,, zu 60% aus Wasser, obwohl ich vermute, dass ich aus überdurchschnittlich viel Wasser bestehe. Denn obwohl ich ständig vergesse zu trinken, steht mir in meinen Tränensäcken immer ein großer Vorrat zur freien Verfügung. Außerdem denke ich, dass dazwischen irgendwo ein Feuer brennt, wie das mit dem ganzen Wasser gehen soll – das weiß ich nicht. Aber all das, was da in mir brodelt, was ich verarbeite und was mir meine Energie gibt, das brennt da irgendwo und knistert und knackt.
Doch wenn ich eine Puppe wäre, dann wäre ich höchstwahrscheinlich die lustige, robuste und nachdenkliche Zappelchechi, mit meinen beweglichen, starken Baumelarmen und den Abenteuerbeinen mit den strammen Waden, den runden Schenkeln und den aufgeschlagenen blauen und roten Knien, die an meinem weichen runden Bauch hängen. Darin liegt in Sand und Watte gebettet mein warmes, schweres Herz wie ein Edelstein. Man muss doch von seinem eigenen Herzen denken, dass es edel ist oder? Oben drauf sitzt mein Kopf, mit neugierigen Augen, die alles und jeden beobachten, eine runde Nase und ein kleiner Mund, der sich über offene Ohren freut, um in sie hineinzuflüstern oder um laut zu lachen.
Und ganz oben drauf hängen von allen Seiten kreuz und quer braune, lange und kurze Strubbelhaarsträhnen herunter. Verfogt man die Haarstränge von ihren unteren Enden bis nach oben, dann könntest du denken, dass sie an der Kopfhaut enden- aber was du nicht sehen kannst, ist dass die Wollhaare im Kopf einen riesigen Kneul bilden. Dort drinnen sind die Fäden bunt, geflochten, geknüpft, verknotet und zerzaust. Daran sind kleine Traum- und Wunschzettel geknotet oder einfach ein paar bunte Perlen und außerdem eine ganze Menge kleiner kugeligen Glitzertränen, die nur auf ihren Auftritt warten, um heraus zu kullern und im Licht zu glitzern.
Ich habe Glück, denn mit meinem beweglichen Körper kann ich auf alle Bäume und Berge Klettern und die Aussicht genießen, ich kann besonders gut umarmen und an meinen warmen Oberkörper drücken, schwungvoll springen und tanzen oder langsam und elegant schreiten. Auf Zehenspitzen schleichen oder trampeln und stampfen, bis der Boden wackelt. Manchmal kugele ich mich vor lachen auf dem Boden und dann wiederum liege ich einfach ganz still auf meinem Rücken, schaue in den Himmel und lasse meinen Körper ganz reglos und schwer in den Boden sinken, bis ich das Gefühl bekomme, dass mein Körper Teil der Erde wird und ich mich vollkommen in eine feuchte, lauwarme Masse auflöse.
Mein Edelsteinherz wird dann wie ein Magnet durch meinen Körper an der Wirbelsäule vorbei, Richtung Erdkern gezogen, zurück bleibt ein Erdklumpen mit einem Loch in der Mitte, wie ein Maulwurfshügel. Doch dann sammle ich mich wieder und krabble durch das Loch zurück in die Sonne. Ich beobachtete die Würmer, die mir entgegenkommen und sich nach ihrem Regentanz langsam ihre Wege zurück in das nasse Dunkle bahnen. Ich blinzle in die Sonne und sehe die Vögel, die frei und wild auf den Windböen surfen und dann bekomme ich Lust auf Sonne, Wind, Blitz, Donner und Regen gleichzeitig.
Und wenn dieses Gefühle dann vorüberzieht und Platz für Neues macht, dann schnappe ich mir mein kleines Traumsammlerbuch, Hammer und Nägel, Stifte und Farbe und dann schreibe ich und male, baue und schraube ich an der Idee herum, bis ich zufrieden bin, oder keine Lust mehr habe, weil ich so ungeduldig bin oder weil ich plötzlich Hunger bekommen habe, auf Rosenkohl mit Käse oder Haferbrei mit Himbeergrütze. Denn die Lust, die geht so schnell wie sie kommt. Das ist manchmal schade, aber gleichzeitig auch schön, denn deshalb wird es nie langweilig, weil immer was Neues kommt, da bin ich mir sicher.
